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Vodafone, Nokia und Ericsson: Brandbrief an die EU
Eine ungewöhnliche Koalition von ansonsten in heftiger Konkurrenz stehenden Netzwerkausrüstern und einem großen in Europa und darüber hinaus aktiven Netzbetreiber wendet sich in einem gemeinsamen Aufruf an die Politik und die Öffentlichkeit.
Die Rede ist von Ericsson, Nokia und Vodafone: Sie fordern die Politik auf, dringend zu handeln, um die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Warnung vor "mangelnder Wettbewerbsfähigkeit"
Europas Mobilfunkbranche wendet sich an die EU-KommissionFoto: Image licensed by Ingram Image, Logos: Anbieter, Montage: teltarif.de Gemeinsam warnen die drei Unternehmen vor den Folgen für die digitale Wettbewerbsfähigkeit Europas, wenn den jüngsten politischen und politischen Diskussionen nicht rechtzeitig konkrete Maßnahmen folgen sollten. Die Unternehmen sehen dringenden Handlungsbedarf, da Europa bei der Einführung von 5G-"Mittelbandnetzen" und bei den Entwicklungsmöglichkeiten in Bereichen wie Künstliche Intelligenz (KI) und Quantentechnologie bereits hinter anderen Regionen der Welt zurückliege.
In einem gemeinsamen Positionspapier fordern sie eine "die Branche unterstützende Regulierung" und eine Marktkonsolidierung. "Europa muss nun sehen, dass diese Erklärungen in klare Pläne und konkrete Maßnahmen münden, die Innovationen fördern, Investitionen anziehen und einen echten digitalen Binnenmarkt schaffen", so die Kernthese.
Cheflobbyisten schreiben Zeitungsartikel
Um den Forderungen Gewicht zu verschaffen, haben die jeweiligen Cheflobbyisten der Unternehmen (Andrew Lloyd, Ericsson; Marc Vancoppenolle, Nokia; Ben Wreschner, Vodafone) einen Leitartikel im Politikmagazin "Politico Europe" verfasst.
Die Autoren betonen, dass ihre Forderungen im Einklang mit den ehrgeizigen Zielen der EU-Kommission für digitale Netze stünden, die im Februar 2024 vorgestellt wurden.
Was die Industrie herausfordert
Die Autoren nennen Probleme, welche "die digitale Transformation im europäischen Telekommunikationssektor behindern" würden. "Die Netzbetreiber waren lange Zeit mit Frequenzauktionen konfrontiert, die mitunter Kosten in dreistelliger Millionenhöhe verursachten, was durch die kurze Laufzeit der Lizenzen oft noch verschlimmert wurde. Wenn die Betreiber versucht haben, durch Konsolidierung (also Zusammenlegung) Größenvorteile zu erzielen, um größere Investitionen in ihre Infrastruktur zu ermöglichen, seien sie manchmal mit "wettbewerbsverzerrenden Abhilfemaßnahmen konfrontiert" worden.
Die Unternehmen fordern eine Modernisierung der Regulierung - mit weniger, flexibleren und einfacheren Regeln. Sie sehen das als "Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen digitalen Innovation".
Konsolidierungs- und Regulierungsherausforderungen hätten - neben hohen Kosten, der Inflation, Zinserhöhungen und dem politischen Druck, niedrige Preise beizubehalten - ein "perfektes Chaos" geschaffen, was die langfristige Lebensfähigkeit des Telekommunikationssektors bedrohe und Europas digitale Ambitionen "gefährde".
Beginnender Wandel
Gut aufgenommen wurde die aktuelle deutsche Konsultation zur Frequenzlizenzierung, was als gutes Beispiel für eine positive Dynamik angesehen werde. "Die deutsche Regulierungsbehörde für Telekommunikation berät über Vorschläge zur Verlängerung der Frequenzlizenzen um weitere fünf Jahre. Im Gegenzug müssen sich die Betreiber verpflichten, bestimmte Versorgungsverpflichtungen zu erfüllen, wie zum Beispiel 99 Prozent der ländlichen Haushalte bis 2030 mit schnellen Anschlüssen zu versorgen", stellen die Autoren fest.
"Diese Vorschläge werden den deutschen Bürgern weitaus mehr Vorteile bringen als die Alternative - eine Auktion, die den Telekommunikationsbetreibern erhebliches Kapital entzieht, das andernfalls für die Verbesserung der Infrastruktur hätte ausgegeben werden können." Auch Spanien, Frankreich und Portugal hätten in den letzten Jahren ähnliche Entscheidungen getroffen.
"Letztlich geht es hier um die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und darum, was es bedeutet, Europäer zu sein", heißt es. Glücklicherweise beginne sich das zarte Pflänzchen des Wandels abzuzeichnen. Die politischen Entscheidungsträger müssten ihm auch erlauben, zu gedeihen.
Der Netzausrüster Ericsson betonte in einem weiteren Statement seine "kontinuierlichen Bemühungen, politische Entscheidungsträger zum Handeln im Bereich der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zu bewegen".
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Die Situation ist nicht einfach, birgt aber auch Chancen. Lange Zeit setzten die Netzbetreiber auf Komponenten von Huawei, die "gut und günstig" sind und nun aus sicherheitspolitischen Gründen gegen neue Komponenten, z.B. von Ericsson oder Nokia, ausgetauscht werden sollen. Das bedeutet für die europäischen Anbieter neue lukrative Aufträge. Doch die Unternehmen haben selbstgemachte Probleme zu lösen: Nokia war zu lange "mit sich selbst beschäftigt", um zahlreiche Unternehmenskäufe zu integrieren. Kritiker warfen Nokia vor, nicht die Technik liefern zu können, die sie bräuchten, die Telekom wechselte von Nokia zu Ericsson. Auch Ericsson hat es nicht leicht, denn in einem an sich funktionierenden Netz läuft ein Austausch des Herstellers nie so reibungslos, wie sich das die Kunden vorstellen. Treten zu viele Kinderkrankheiten auf, entsteht eine schlechte Stimmung und das verdirbt künftige Abschlüsse. Open-RAN, das Aufbrechen der Netze, um Komponenten verschiedener Hersteller wechselweise nutzen zu können, bietet Chancen und Risiken. Neue Spieler betreten den Markt und möchten am Kuchen teilhaben.
Es ist aber auch denkbar, dass sich die USA und China wieder annähern und ihre Probleme gemeinsam lösen können, womit der Netzwerkausrüster Huawei und seine Kollegen von ZTE oder anderen heute noch nicht so bekannten Unternehmen wieder mit im Spiel wären. In China mit weit über 1 Milliarde Menschen gibt es wenige große Netzbetreiber, in den USA mit ca. 300 Millionen Einwohnern sind es im wesentlichen drei große Netze, darunter die Telekom-Tochter T-Mobile US. In Europa leben ebenfalls 300 Millionen Menschen, die von rund 100 Netzbetreibern aus 27 Ländern versorgt werden.
Es ist nicht bekannt, ob Telefónica oder die Deutsche Telekom eingeladen wurden, diesen Brief zu unterschreiben. Es ist anzunehmen, dass sie das tun würden, denn die Forderungen sind auch in ihrem Sinne. Telekom-Chef Tim Höttges hat schon öfters vorgerechnet, wie ein europäischer Netzbetreiber aussehen könnte. Ist ein gesamteuropäischer Anbieter denkbar, der dann vielleicht 50, 100 oder 150 Millionen EU-Bürger versorgen und betreuen kann?
Wenn Europa eine Chance haben will, muss es enger zusammenrücken und auch über europäische TK-Anbieter nachdenken, für die Hüter des reinen Wettbewerbs ist das eine schwierige Vorstellung.
Große Netzbetreiber können große Mengen Technik einkaufen und haben auch die Marktmacht, die technische Entwicklung mitzubestimmen und dafür zu sorgen, dass Fehler möglichst von vornherein erkannt und ausgemerzt werden. Große Netzbetreiber können es sich eher leisten, auch dünn besiedelte Regionen auszubauen, weil sie über die technischen und finanziellen Mittel verfügen und genügend Personal und Fachwissen besitzen. Große Netzbetreiber könnten auch ihre Marktmacht dazu mißbrauchen, die Preise zu erhöhen und dann sich gemütlich zurückzulehnen, anstatt den Kundenwunsch nach stabilen überall verfügbaren Netzen zu erfüllen. Das bedeutet, dass die Netzbetreiber heute schon über die Netze von morgen und übermorgen nachdenken müssen, in Abstimmung mit den Netzwerkausrüstern.
Die Politik muss die Weichen stellen, dass Netze von leistungsfähigen europäischen Anbietern gebaut werden können, muss aber auch einen Rahmen vorgeben, damit die Interessen und Rechte der Nutzer und Kunden gewahrt bleiben.
Quelle des vollständigen Artikels:
https://www.teltarif.de/nr0/vodafone-nokia-ericsson-tk-regulierung-politik/news/96514.html